Das Camp Kong Jor – Rohrbomben zu Solarpanels

Wilkommen in der Zivilgesellschaft
Wilkommen in der Zivilgesellschaft

Silbern spiegelt sich die Sonne in den kleinen Stücken von Alu, die auf dem kleinen Tischchen vor dem Haus des Lagerkommandanten verteilt liegen. Sie sind alle exakt zurecht geschnitten und haben in etwa die Größe von einer halben Zigarettenstange. Sai Laeng ist damit beschäftigt, auf die Aluplatten eine daumennagelgroße Verbindungsplatine zu kleben, die er dann geschickt an ein Stück LED-Band von knapp 15cm Länge anlötet, welches er zuvor von einer Kabelrolle abgewickelt und -getrennt hat. Um ihn herum liegen halbe Motorräder, Abschnitt vom Lampenbauen und allerlei nich identifizierbarer Unrat, der bei uns wohl lediglich einem Schrotthändler das Herz hätte höher schlagen lassen.

Die LED-Lampen sind zwar nicht sehr hell, aber wir können damit die Kerzen ersetzen. Deren Verwendung haben wir den Bewohnern verboten, da die Hütten gerade jetzt in der Trockenzeit sehr schnell Feuer fangen. Der Vorteil ist außerdem der, dass die LEDs kaum Strom verbrauchen und deshalb mit den Solarpanels betrieben werden können

Das Camp Kong Jor hat keinen Stromanschluss von außen und der Wenige, den das Camp selbst produziert ist kostbar wie das Wasser in der Trockenzeit, die im April hier gerade ihren Höhepunkt erreicht. Beim Schweifen meines Blicks über die Strohdächer der angrenzenden Hütten erkenne ich auf jedem Dach ein Solarpanel von der Größe eines Din-A3 Blattes. Ob’s hier auch ne Einspeisepauschale gibt!?

Sai Laeng legt den Lötkolben weg und begrüßt uns herzlich in einem für die Region unerwartet gutem Englisch. Er und Karl kennen sich – wie es scheint – schon lange und deshalb wird auch gleich mal über den aktuellen Bauchumfang des Gegenübers gewitzelt. Sai Laeng ist ein etwas untersetzter Mann von 61 Jahren, der aus seinen Augenschlitzen verschmitzt blinzelt. Er trägt eine klassische, bequeme Thaihose und ein altes T-Shirt und graues Haupt- und Barthaar.

Nachdem der Tisch mit wenigen Handgriffen von der Elektrowerkbank in einen Esstisch umgebaut wurde, servierte er uns einen Tee und es wurden die ersten Themen ausgetauscht. Karl war demzufolge schon einige Zeit nicht mehr hier – seit knapp einem Jahr nicht mehr. Der Weg ist durchaus weit von Chiang Mai. Wir hatten uns gestern einen Wagen mit Fahrer gemietet und sind bis kurz vor Pin Lung dem nächst größerem Ort gekommen, wo wir in einem Guesthouse übernachtet haben. Auf dem Weg zum Lager haben wir noch gefrühstückt und frisches Obst und Milch eingekauft – beides Dinge, die selbst in Kong Jor in der heißesten Zeit des Jahres zur Ausnahme gehören.

Muster-Camp auf thailändischer Seite

Vorgartenidylle
Vorgartenidylle

Kuong Jo liegt auf der thailändischen Seite der Grenze, was es insofern privilegiert, da sich die Lieferwege für Essen und Material zum Infrastrukturaufbau wie sanitäre Einrichtungen, Schulen, Waisenhäuser erheblich einfacher gestalten. Die Camps jenseits der Grenze haben es da ungemein schwerer. Jeder Sack Reis oder Bohnen, jedes Stück Wasserleitung oder Medizin muss für diese Lager dann illegal über die Grenze geschmuggelt werden. Auch ist die Bewegungsfreiheit komplett anders. In Kuong Jo kann jeder das Lager verlassen und ins angrenzenden Pin Lung gehen. Eine Freiheit, die die Menschen in anderen Lagern schon allein deshalb nicht haben, da direkt hinter der Lagergrenze der erste Schützengraben beginnt und in Sichtweite die burmesische Armee mit Maschinengewehren im Anschlag lauert. Die Lager wären auch schon längst von der Landkarte wegradiert, würde der burmesischen Armee nicht die SSA, die Shan State Army, in mindestens gleicher Anzahl gegenüber stehen, um die Camps zu sichern.

Karl hat mir beim Spaziergang durch Kuon Jo erzählt, dass die Lagerkommandanten der anderen Lager auch immer am Basteln seien. Allerdings bauen diese keine Lampen sondern Raketen für die selbst entwickelten Raketenwerfer oder Rohrbomben als Handgranatenersatz. Einen Sachverhalt den ich zwar geistig erfasse, aufgrund meiner Zivi-Zeit und mangelnder Erfahrung in Konfliktgebieten nur schwer mit Leben füllen kann. Natürlich ist das dort kein Zeitvertreib sondern Selbsterhaltungstrieb, aber für mich als einen in der deutschen Mittelschicht Aufgewachsenen ein sehr gewöhnungsbedürftiger Gedanke.

Daran läßt sich für meine Begriffe nicht nur das unterschiedliche Lagerleben der einzelnen Camps verdeutlichen, sondern auch das Leben im grenznahen Bereich des Shan-Staats innerhalb Burmas im Gegensatz zum Leben in Thailand und auch Westeuropa: Überleben im Kriegsgebiet vs. Leben in der Zivilgesellschaft. In Kong Jor sind die Menschen im zivilen Leben angekommen. Sie haben sicher nicht viel Geld und ein reichhaltiges Mahl ist auch hier eher die Ausnahme. Aber die Menschen bangen nicht um Ihr Leben, sondern kümmern sich um eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.

Es gibt mittlerweile eine gut funktionierende Weberei, die Auftraege auch von aussen annimmt und den Familien wesentlich zu einem Auskommen verhilft, das an thailaendische Verhaeltnisse in den Bergen heranreicht.

Auf Verdacht attackiert

Das war nicht immer so. Bevor das Lager entstand lebten die Bewohner jenseits der Grenze in insgesamt vier Dörfern. Anfang der Neunziger waren die Nachwehen von Khun Sa, dem Drogenbaron im Goldenen Dreiexk noch deutlich zu spüren. Damals war dessen Privatarmee im Dschungel unterwegs und beherrschte die Hälfte des Shan Staates. Dann noch die marodierenden Milizen der Regierungsarmee und die Shan State Army.

In diesem Gewirr von Fronten und Kleinpolitik der Parteien wurde den Bewohnern der vier Dörfer vorgeworfen, mit der SSA zu kooperieren. Zumindest behaupteten dies die Burmesen und beschossen daraufhin die vier Dörfer mit schwerer Artillerie, brannten anschließend die Dörfer nieder und raubten sämtliche Lebensmittel. Der klägliche Rest von knapp 600 Menschen rettete sich über die nahe Grenze. Dort wurden sie von einem Abt in seinem Kloster aufgenommen und vegetierten im dortigen Klosterhof in Zelten über ein Jahr ohne jede organisierte Hilfe und sanitäre Einrichtungen.

Erst danach fand sich ein Platz in der Nähe des Ortes Pin Lung, wo sich das Camp noch heute befindet und konnte mit Hilfe von „between borders“ peux a peux aufgebaut werden.

Das Ergebnis ist durchaus vorzeigbar. Die Kinder gehen in die Thaischule, jetzt über das Neujahrsfest Sonkran hat diese zwar geschlossen, dafür bietet der ans Lager angeschlossene Tempel und die dortigen Mönche eine Summer-School an. Mit dem Schulleiter konnte ich mich in der Mittagspause ein wenig über die Schule, die unterrichteten Fächer und über Burma und die Shan unterhalten. Es wird Shan-Geschichte, Shan als Sprache und Kunst & Musik unterrichtet. Das ist meines Erachtens deshalb schon interessant, da die Kinder auch in dieser Zeit beschäftigt sind und vor allem ihre Wurzeln kennen lernen.

Ihm haben wir unsere Mitbringsel auch übergeben, damit er sie an die Kinder verteilt – auch die Gitarre, die mich seit Hanoi begleitet hat, hat einen schönen Platz in einem der Klassenräumen gefunden und bereichert nun den Musikunterricht.

Wenn mich natürlich auch die Camps hinter der Grenze dringend interessiert hätten, freue ich mich, dieses positive Beispiel gesehen zu haben. Wünschenswert wäre, wenn es als Blaupause für die andern Camps dienen könnte. Davon sind wir aber noch ein gutes Stück entfernt. Beim Verlassen des Camps sehen wir Sai Laeng, wie er sich wieder über seine LED-Lampen beugt und die restlichen Kabel verlötet bevor sie demnächst weitere Hütten mit Solarstrom beleuchten.

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